„CORSAGE“ VON MARIE KREUTZER BEGEISTERT IN CANNES

STANDING OVATIONS BEI PREMIERE IN CANNES

Der vom ÖFI geförderte Film „Corsage“ von Marie Kreutzer feierte seine Premiere beim 75. Festival von Cannes 2022 in der Kategorie „Un Certain Regard“. Die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps wurde am 27. Mai für die Darstellung der Kaiserin Elisabeth für die beste darstellerische Leistung ausgezeichnet. Ab 7. Juli ist der Film in den heimischen Kinos zu sehen.


ZUM INHALT

Die Hofburg in Wien im Jahre 1877, Heiligabend. Elisabeth, die Kaiserin von Österreich-Ungarn (Vicky Krieps), feiert im Kreise des Hofstaats bei einem festlichen Dinner ihren 40. Geburtstag. Elisabeth, die beim Volk für ihre natürliche Schönheit, androgyne Figur und ihre ikonischen Flechtfrisuren verehrt wird, scheint bei ihrer Feier nur Bitterkeit zu empfinden. Mit 40 Jahren ist sie im späten 19. Jahrhundert eine alte Frau. Als Kaiserin von Österreich hat sie ausschließlich repräsentative Pflichten zu erfüllen. Ihr Mann Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister) schätzt ihre Meinung in politischen Angelegenheiten nicht. Ihre Tage sind belanglos und werden von ihrem sich selbst auferlegten Diktat zusammengehalten: Morgens lässt sie sich von den Hofdamen ihre Taille messen, das Korsett noch enger schnüren. Mehrere Tage die Woche hält sie anorektisch Orangendiät, jede Gewichtszunahme kränkt sie. Die Angst vor dem Älterwerden, dem Bedeutungsverlust und das Schwinden ihrer Jugendlichkeit lässt sie zunächst erstarren, dann nach einer Möglichkeit für einen Ausbruch suchen.

Mit ihren Hofdamen Marie Festetics (Katharina Lorenz), Ida Ferenczy (Jeanne Werner) und Fanny Feifalik (Alma Hasun) unternimmt Elisabeth Reisen. Sie nähert sich dem berühmten Jagdreiter Bay Middleton (Colin Morgan) an, flirtet mit ihrem Cousin Ludwig II (Manuel Rubey) und interessiert sich für moderne Erfindungen wie die Filmkunst. Ausgerechnet von ihren Kindern Rudolf (Aaron Friesz) und Valerie sowie von ihrer Schwester Marie erntet sie Tadel und Ablehnung für jede ihrer Leidenschaften.

Doch der Blick in die Ferne öffnet der Kaiserin Perspektiven, weckt in ihr den Wunsch der Selbstermächtigung, weg von den Konventionen und ihrem zerbrochenen Selbstbild. Doch lässt das enge Korsett aus höfischen Ritualen und traditionellen Rollenbildern die individuelle Freiheit einer Frau überhaupt zu? Und wenn ja: Zu welchem Preis?


DIE FRAU HINTER DEM MYTHOS „SISSI“

Mit „Corsage“ gelingt der Wiener Regisseurin und Drehbuchautorin Marie Kreutzer („Der Boden unter den Füßen“, „Was hat uns bloß so ruiniert“, „Gruber geht“) die Neuerfindung der „Sissi“. Angelehnt an der historisch gut dokumentierten Biografie der berühmten Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn entblättert die Filmemacherin Schicht um Schicht den fragilen Seelenzustand der Monarchin und schenkt ihr das Narrativ einer furchtlosen, radikalen Frau.

Kreutzer gelingt mit tiefer Empathie für die ikonische Kaiserin, die im höfischen Zeremoniell sinnbildlich wie in einem immer enger werdenden Korsett keine Luft zum Atmen mehr findet, die Darstellung ihres Wandlungsprozesses zu einem freien Menschen, der sich von jedem Status, jeder Körperlichkeit und jedem Erwartungsdruck löst. Unerschrocken und gleichzeitig mit großer Leichtigkeit traumwandelt die Schauspielerin Vicky Krieps als Elisabeth durch eine misogyne, feindselige Welt, in der sie sich unter den Augen der Öffentlichkeit und ihrer Familie ihren neuen Platz im Leben sucht.

„Sissi“ ist durch „Corsage“ nicht mehr länger ein kitschiges Abziehbild der Ernst-Marischka-Filme, in denen Romy Schneider die Hauptrolle spielte, sondern vielmehr eine Inspiration für die heutige Frauengeneration. Denn die historische Elisabeth, so belegen es zahlreiche Quellen, quälte sich scheinbar mit sehr aktuellen Problemen wie Essstörungen, depressiven Episoden, Sinnkrisen, Affären und dem unerfüllbaren Bild der perfekten Mutter. Zum ersten Mal in der deutschen Filmgeschichte wird „Sissi“ somit ein authentischer Mensch und eine Frau, die auf einmal so unglaublich nahbar und nachvollziehbar wird.